Die zentralen Lehren, Ursprung und Gegenwart . 2000 . 399 S. m. zahlr. z. Tl. farb. Abb. . 24,5 cm
Wo Dinge, die bedingt entstanden, den Ursprung (ihres Werdens) fanden, und wie man den vernichten kann: Das hat der Meister dargetan, (Mv 1,23,5) so definiert die buddhistische Welt die Lehre des Buddha. Der Mensch, so zeigt sie, ist, wie alle Erscheinungen der Natur, ein bedingt entstandenes, als Einzelperson kurzlebiges Phänomen und sollte sich nicht einbilden, den Naturgesetzen enthoben zu sein und eine ewige Seele zu besitzen.
Im Westen, wo man daran gewöhnt ist, Religion als den Glauben an einen Hochgott zu verstehen, hat man darüber diskutiert, ob der Buddhismus als nichtheistisches System eine Religion sei oder eine Philosophie. Der Buddha würde sagen: nichts von beidem. Soweit seine Lehre das bedingte Entstehen der Welt und des Leidens aufzeigt, nennt er sie Dhamma, "das (Natur-)Gesetz" oder "die Wahrheit"; soweit sie einen Weg zur Erlösung angibt, nennt er sie Säsana, "die Weisung". Der Erlösungsweg, der die Kenntnis der Weltmechanik dazu benutzt, dem Zwang zur Wiedergeburt und damit dem Leiden zu entkommen, stellt die praktische Ethik des Buddhismus dar. Sie wird zusammengefaßt in dem Vers:
Von allem Bösen abzustehn,
das Heilsame zu mehren,
auf Läuterung des Geists zu sehn:
Das ist's, was Buddhas lehren. (Dhp 183)
Diesen Weg zur Erlösung zu gehen erfordert Selbstdisziplin und Ausdauer - aber auch Gelassenheit, denn da es nach der Erkenntnis des Buddha Gier, Haß und Unwissenheit sind, die an die Welt binden, ist allzugroßer Erlösungseifer als eine Art Begierde ein Erlösungshindernis. Buddhist ist man im Kopf durch objektive Sicht der Dinge und Selbstkontrolle, und mit dem Herzen durch Mitleid und Güte zu den Wesen: Buddhistsein ist eine Lebensweise. Mitgliedschaft in einer Gemeinde sowie Litaneien und Rituale gehören nicht notwendig dazu und sind jedem anheimgestellt.
Der historische Buddha lebte vor 2400 Jahren in Nordindien. Bei einer Religion mit einer solch langen Geschichte darf es nicht verwundern, daß sich in ihr verschiedene Lehrrichtungen entwickelt haben. Man hat zu unterscheiden
- den Frühbuddhismus (Theraväda = alte Lehre), der auf den Texten in der Päli-Sprache basiert und die Erlösung durch eigene Bemühung lehrt;
- den sich auf Sanskrit-Bücher berufenden Buddhismus des Großen Fahrzeugs (Mahäyäna), der Erlösungsbeistand von außen für möglich hält und unter verschiedenen Bezeichnungen ein Absolutes anerkennt; und
- das Fahrzeug der Tantra-Texte, dessen Bekenner an grundgegebene Erlöstheit und Abkürzungswege zum Heil glauben.
Alle diese Formen des Buddhismus haben ihren Ursprung in Indien und sind in Texten in indischen Sprachen autoritativ formuliert.
Die Lehre des Buddha blieb aber nicht auf Indien beschränkt. Sie verbreitete sich auch außerhalb des indischen Subkontinents und fand in ihrer Frühform Eingang nach Ceylon (Sri Lanka) und Südostasien, in ihrer mahäyänischen und tantrischen Form nach Zentral- und Ostasien. Sowohl in China als auch in Japan und Tibet entfaltete sie sich weiter. In China entstanden der Chan-(Zen-)Buddhismus und die Amida-Religion, in Tibet entwickelte sich ein Buddhismus eigener Prägung. Da nicht nur die indischen, sondern auch die außerindischen Formen des Buddhismus ihren Weg nach Europa und Nordamerika gefunden haben und sich hier durch Bekennergemeinden repräsentieren, bietet sich dem Westler eine verwirrende Vielfalt.
Die Verwirrung entsteht aus der Gleichzeitigkeit, mit der sich die über viele Jahrhunderte entstandenen Lehren dem Westler heute darbieten. Klarheit ist möglich, indem man die Lehrelemente nach ihrem historischen Entstehen ordnet.
Ein Beispiel: Der Spätbuddhismus stellt eine Hierarchie von Buddhas auf, in der
- der Ädi- oder Ur-Buddha als personifiziertes Absolutes die Spitze hält,
- die über den Raum verteilten Transzendenten Buddhas als Himmels-Buddhas die Mittelposition einnehmen und
- die Buddhas der Zeitepochen, darunter der historische Buddha Gautama, als Irdische Buddhas die untere Buddha-Kategorie darstellen.
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