Jes Bertelsen : Das Wesen des Bewusstseins Band 2
Band 2: Dzogchen
491 Seiten, Hardcover,
Diese Sammelausgabe beinhaltet die 6 Bewusstseinsbücher von Jes Bertelsen:
Band 2
- Das Innerste des Bewusstseins
- Dzogchenpraxis als Bewusstseinsweite
- Das fließende Licht des Bewusstseins
die zwischen 1983 und 2008 erschienen sind in einer überarbeiteten und aktualisierten Neuausgabe.
Diese Bücher sind nicht im Buchhandel erhältlich !
Einleitende Bemerkungen
Von einem kaukasischen Großbauern wird erzählt, dass er sich zum 60. Geburtstag von seiner Familie ein Cello wünschte. Dieser Wunsch wurde erfüllt – und noch am gleichen Tag begann er, auf seinem neuen Instrument zu spielen.
Einige Monate später spielte er täglich mehrere Stunden lang immer wieder denselben Ton; und seine Familie erkundigte sich, ob er denn nicht auch die übrigen vielfältigen Tonfähigkeiten des Cellos erforschen wolle? Seine Antwort lautete: Nein. Er erläuterte, dass alle, die ein Cello spielen, nach seinem Ton suchen; die meisten finden diesen Ton allerdings nicht und spielen alle möglichen Töne und Melodien; was ihn selbst betreffe, habe er ihn aber sogleich gefunden – darum.
Schaue ich mir die sechs nachfolgenden Schriften über das Bewusstsein an, die im Lauf von 25 Jahren entstanden sind, geht es mir so ähnlich wie diesem kaukasischen Großbauern mit seinem einsamen Celloton. Diese Schriften befassen sich in gewisser Weise recht monoton mit einem einzigen Thema: dem Praxisweg zur Quelle oder Essenz des Bewusstseins.
Höheres Bewusstsein entstand 1983, also vor meiner Begegnung mit Tulku Urgyen. Hier geht es in erster Linie um das bipolare Bewusstsein; darum, wie sich die Gewichtung von den vielen verschiedenen Einzelgedanken und Einzelerlebnissen auf die Quelle der Gedanken verschiebt – auf den Denker dieser Gedanken; auf den eigentlichen Produktionsprozess; den Erleber des Erlebten, den Ursprung und die schöpferische Quelle aller möglichen Erlebnisse.
1991 entstand Befreiung des Bewusstseins. Hier geht es um den Versuch einer Beschreibung der meditativen Praxis mit Hilfe der bipolaren Einstellung des Bewusstseins – bis hin zum Ereignis der Übertragung: der Situation, in der das Bewusstsein in Gemeinschaft mit einem erleuchteten Lehrer zur Wiedererkennung und Verwirklichung der nondualen erleuchteten Bewusstseinsessenz gelangt.
In Der Himmel des Jetzt, 1994 entstanden, liegt der Schwerpunkt auf zwei entscheidenden Sachverhalten der meditativen Praxis: zum einen auf der neutralen Betrachtung – der Meditation des Zeugen, also Vipassana – als einer zentralen Übung; und zum anderen auf dem Zusammenhang zwischen Meditation und Gebet.
Das Innerste des Bewusstseins aus dem Jahr 1995 versucht die Praxis des bipolaren Bewusstseins mit Dzogchen zu vergleichen und zu verbin den: Hier wird die Praxis des bipolaren Bewusstseins als Vorbereitung zur fortgeschrittenen Dzogchenpraxis, dem eigentlichen Prozess der Erleuchtung, beschrieben.
In Dzogchenpraxis als Bewusstseinsweite, 2003 entstanden, stehen zwei ergänzende Aspekte des Praxisweges im Vordergrund. Der eine dieser Aspekte ist der Unterschied und der Zusammenhang zwischen dem allmählichen und dem augenblickshaften Weg; der andere die Beschreibung der vier Grundeinstellungen als mögliche optimale Atmosphäre und Umwelt für die Dzogchenpraxis.
Das fließende Licht des Bewusstseins aus dem Jahr 2008 hat seinen Ausgangspunkt in einer Zusammenstellung von Kant und Longchenpa auf der Grundlage des Begriffs der Apperzeption. In diesem Hauptabschnitt geht es um die fortgeschrittene Dzogchenpraxis; um Longchenpas Beschreibungen des Zusammenhangs zwischen Trekchö und Tögal – den beiden Praxisformen, die den Zugang zum erleuchteten, nondualen Bewusstsein öffnen und stabilisieren.
Alle sechs Bücher arbeiten also mit ein und demselben Grundton; und dennoch versuchen sie eine Reihe von Nuancen und Aspekten zu entfalten, die möglichen Lesern vielleicht nützlich und inspirierend erscheinen können.
Die hier behandelten Hypothesen, Erfahrungen und pädagogischen Strategien wurden über die 25 Jahre ihrer Entstehungszeit von mehreren Tausend Menschen untersucht, geprüft und modifiziert. Hier handelt es sich also nicht um Studierkammerphilosophie. Die meditative Pädagogik entstand über viele Jahre auf der Basis eines breiten Feldes an Prakti zierenden und mit zahllosen individuellen Praxisgesprächen von der Art, wie sie in der tibetischen Dzogchentradition entwickelt wurde.
Ein solches Praxisgespräch – Semtri, Bewusstseinsinstruktion – baut darauf auf, dass die Gesprächspartner – der Lehrer oder Mentor und der Schüler – beide praktizieren, während sie sich über die konkrete individuelle Praxis austauschen. Man geht davon aus, dass der Lehrer sich im nondualen Gewahrsein befindet, während der Schüler so gut und intensiv praktiziert, wie es der aktuelle Fortschritt seines Praxisprozesses erlaubt.
Ein solches Gespräch wird also von der aktuellen Praxis des Lehrers und des Schülers getragen – von ihren Zuständen und von der Punktpraxis.
Im glücklichsten Fall ermöglicht dies, dass der Kontakt zwischen den beiden Gesprächspartnern den Zugang zu den inneren Bewusstseinsebenen öffnet. Das bedeutet, dass zunächst das Ganzheitsbewusstsein der fünften Ebene, später das Gemeinschaftsbewusstsein der sechsten Ebene in den Praxisbegegnungen unter dem Gespräch über den meditativen Prozess und seine Stufen, Ebenen und Nuancen unmittelbar offen stehen kann.
Im Prozess der Erleuchtung erfolgt der Austausch, während sich beide Gesprächspartner in Zuständen des nondualen Gewahrseins befinden – also im Einheitsbewusstsein oder Rigpa der siebten Ebene.
Solche Praxisgespräche gehören wohl zu den tiefsten Formen der Begegnung, die unter Menschen möglich sind. Darum können sie tief bewegen und das gesamte Praxis- und Verständnisniveau entscheidend verändern. Das Herz öffnet sich in Vertrauen und Dankbarkeit. Die Grenzen zwischen den beiden Bewusstseinsinstanzen verwandeln sich in pulsierende energetische Interferenzfelder, und Bewusstsein und Herz leuchten allmählich auf und erfassen Licht. Unter einem solchen Praxis gespräch kann sich das Bewusstsein in große Weite und nicht-sprachliche Freiheit hinein öffnen.
Es sind Erfahrungen dieser Art – im Verhältnis zu meinem eigenen Dzogchenlehrer Tulku Urgyen wie auch im Verhältnis zu den fortgeschritteneren Praktizierenden, die ich selbst unterrichtet habe – es sind derartige Erfahrungen, die die tiefere Grundlage der in den folgenden Schriften behandelten Bewusstseinsbeschreibungen und pädagogischen Strategien bilden.
Alle Erfahrung zeigt, dass eine Unterscheidung zwischen zumindest drei Arten von geistigen Öffnungen zweckdienlich ist; Öffnungen, die man durchaus als Entsprechungen dreier fundamentaler Aspekte der so genannten inneren Dimensionen des Bewusstseins deuten kann.
Die erste Art solcher Öffnungen kann durch Musik, Naturerlebnisse, Liebe, Meditation oder andere erhebende Aktivitäten vermittelt werden. Ein solches Erlebnis kann einen Reichtum an Licht, Mitgefühl, religiöser Erhebung, Energieströmungen im Körper, Einsichten und Seligkeit entfalten. In der Regel wird ein solches Erlebnis kurz, nur Sekunden oder Minuten, dauern; und die Nachwirkungen auf den Sinneszustand und die Existenz halten Stunden, Tage oder – seltener – Wochen an. Das Erlebnis kann aber auch zu einer dauerhafteren Änderung der Einstellung beitragen; zu einem Gefühl tieferer Zusammengehörigkeit mit anderen lebenden Wesen. Nachfolgend nennen wir diese Form der Öffnung ein Erlebnis der fünften Bewusstseinsebene, des Ganzheitsaspektes des Bewusstseins, des Spirituellen.
Die zweite Art dieser Öffnungen erscheint vor allem in Verbindung mit der inneren Praxisarbeit – mit Gebet und Meditation; eine derartige Öffnung kann aber auch spontan eintreten. In der Regel dauert sie nur Bruchteile von Sekunden; in seltenen Fällen mehrere Sekunden. Man nennt das einen kosmischen oder illuminativen Blitz; und die existenziellen und psychischen Nachwirkungen, die Assimilation und Umsetzung eines solchen Erlebnisses kann typisch ein halbes Jahr bis zu mehreren Jahren dauern.
Der Inhalt eines solchen Erleuchtungsblitzes ist meist schwer zu beschreiben; es handelt sich um intensives Licht, Ausweitung, umfassende Einsicht und Liebe. Nachfolgend nennen wir das eine Öffnung in die sechste Ebene, das Kosmische, die Ebene des Gemeinschaftsbewusstseins.
Die dritte und letzte Art der Öffnung – die nur extrem selten eintritt – erfolgt in der Begegnung und im Austausch mit einem Lehrer, der sich bereits in einem Prozess der Erleuchtung befindet oder erleuchtet ist. Der Gehalt eines solchen Erlebnisses ist die Entdeckung und Wiedererkennung des innersten Wesens des Bewusstseins, der nondualen erleuchteten Essenz. Nachfolgend nennen wir eine solche Öffnung eine Öffnung in die siebte Bewusstseinsebene hinein, die erleuchtete Ebene des Einheitsbewusstseins oder des Gewahrseins. Ein solches Erlebnis ändert das gesamte nachfolgende Leben des betreffenden Menschen, so wie das Geburt oder Tod tun. Die Nachwirkungen haben mit anderen Worten keinen Abschluss, sondern dauern das ganze Leben lang an.
Vielleicht benötigt die globale Gemeinschaft zum aktuellen Zeitpunkt nicht besonders viele Ereignisse dieser Art; vielleicht würden solche Erfahrungen allgemeiner, wenn die Notwendigkeit größer wäre. Was die Menschheit vielleicht benötigt, ist die Verallgemeinerung eines höheren ethischen Niveaus – technisch gesprochen eine Verallgemeinerung der fünften Ebene des Selbst. Wenn man die Krise auf unserer Erde betrachtet – das Abschmelzen der Polkappen, den Treibhauseffekt, die begrenzten Erdölreserven, die andauernden Kriege, die wachsenden Unterschiede zwischen Reich und Arm und das explosive Bevölkerungswachstum – wenn man all das bedenkt, scheint in der Menschheit ein großes Bedürfnis an einer umfassenden Änderung unserer Einstellungen zu bestehen. Was Not tut, ist, dass die Menschheit insgesamt allmählich die Notwendigkeit innerer Arbeit und der Entwicklung einer Intelligenz des Herzens erkennt; und als Folge davon die Notwendigkeit eines größeren Gefühls der Verantwortung für die Ganzheit des Erdballs und der Menschheit und der Verstärkung einer mitfühlenden, Gemeinschaft empfindenden Ethik.
Vielleicht könnte man sich vorstellen, dass die innere Notwendigkeit einer Einstellungsänderung in dem Maße wächst, wie der äußere Druck durch Übervölkerung, Energiemangel und Klimaverschlechterung anwächst. Und vielleicht bildet das Zusammenspiel dieser beiden Faktoren die Hoffnung und die Wahrscheinlichkeit, dass es der Menschheit gelingen wird, zu einer überwiegenden Freundlichkeit und Hilfsbereitschaft unter ihren Mitgliedern heranzuwachsen – eine Entwicklungsstufe, die bislang eher utopisch erscheinen muss.
Eine solche Stufe, wenn sie denn erreicht werden soll, erfordert vielleicht, dass ein Wissen um die Wege in die natürliche Intelligenz des Herzens verallgemeinert und angewandt wird. Meine Hoffnung ist, dass die nachfolgend beschriebenen Erfahrungen und Darlegungen einen Weg in die richtige Richtung weisen können.
Jes Bertelsen, 2010
Inhaltsverzeichnis Band II
Das Innerste des Bewusstseins
Vorwort
Das Bewusstsein – Stufen und Funktionen
Aus einem Traum erwachen
Schlaf, Traum, Wachheit
Neutrale Betrachtung
Luzide Träume
Bipolares Bewusstsein
Im Kino üben
Bipolares Bewusstsein in Träumen
Der natürliche Prozess der Initiation
Herz und Gewahrsein
Zusammenhänge weben – und Brüche schaffen
Die zahllosen Facetten des Bewusstseins
Kants transzendentale Apperzeption
Einsicht aus der Sprache in die Stille tragen
Dzogchen
Grundlagen
A. Grundunterscheidungen
B: Grundemotionen
C: Grundperspektiven
Die vorbereitenden Initiationen
Instruktion zur Einführung in das Innerste des Bewusstseins
Trekchö und Tögal
Die drei Dzogchen-Formeln des Garab Dorje
Selbsterfolgende Selbstbefreiung
In der biografischen Vorstellung üben
Der natürliche Zustand
Vision und Gewahrsein
Mit dem Herzen sehen
Die Linie
Die Musik der Linie
Tibetische Texte
Ergänzende Anmerkungen
Dzogchenpraxis
Vorwort
Erster Teil: Der allmähliche Aspekt
Einleitung
Die vier Grundaspekte der Praxis
Fertigkeiten und Zusammenspiel
Jenseits von Sprache und Identität
Nicht greifen und nicht begreifen
Natürliche Selbstbefreiung
Perspektive, Praxis und Verhalten
Was man nicht gelernt hat
Die Praxis der Weite
Glück
Dzogchen-Lebenskunst
Zweiter Teil: Der augenblickshafte Aspekt
Graduell und augenblickshaft
Der Raum der Entspanntheit
Der panoramische Raum der Ausgeglichenheit
Der Raum des Herzens
Der unendliche Raum der Apperzeption
Longchenpa
Die zentrale Vermittlung
Weiblich und männlich
Das freie Schweben des Bewusstseins
Verlässlichkeit
Bezuglosigkeit
Andauernde Wachheit
Andauernde Gegenwärtigkeit
In der Praxis sterben
Vervollständigende Betrachtungen
Abschluss
Tibetische Texte
Das fließende Licht des Bewusstseins
Einleitung
I: Untersuchungen des Bewusstseins
1. Bewusstseinsaspekte
2. Wissenschaftliche und philosophische Analyse
3. Weltbild und Grundbegriffe
A: Die Grenzen des Bewusstseins: Kant, C.G. Jung und Kierkegaard
B: C.G. Jung
II: Untersuchungen zu Longchenpas Dzogchen
1. Bewusstsein, Transzendenz und Herz
A: Die duale Funktion des Bewusstseins
B: Konvergenzpunkte des Transzendenzhorizonts
C: Verfeinerung des Herzens und des Bewusstseins
2. Die Begegnung mit Tulku Urgyen
3. Longchenpas Grundbegriffe
A. Leerheit und Erscheinung – Trekchö und Tögal
B. Das fließende Licht des Bewusstseins: Grundstruktur und
allmähliche Entfaltung der Tögalvisionen
C. Einkreisung und Identifizierung von Longchenpas Grundbegriffen
III: Das holographische Netzwerk der 100 Stammbegriffe
1. Die (wenigen) zentralen übergeordneten Kernbegriffe
2. Girlanden von Diamantketten (Vajraketten)
3. Weite, Wissen und Vielfalt der Wachheit
4. Eine holographische Sprache: Netzwerke von chromatischen
Vajraketten
5. Gesamtvisionen und Begriffshologramme
Abschließender unwissenschaftlicher Inbegriff
Stammbegriffe
Glossar
Literaturhinweise
Anmerkungen
491 Seiten, Hardcover,
Diese Sammelausgabe beinhaltet die 6 Bewusstseinsbücher von Jes Bertelsen:
Band 2
- Das Innerste des Bewusstseins
- Dzogchenpraxis als Bewusstseinsweite
- Das fließende Licht des Bewusstseins
die zwischen 1983 und 2008 erschienen sind in einer überarbeiteten und aktualisierten Neuausgabe.
Diese Bücher sind nicht im Buchhandel erhältlich !
Einleitende Bemerkungen
Von einem kaukasischen Großbauern wird erzählt, dass er sich zum 60. Geburtstag von seiner Familie ein Cello wünschte. Dieser Wunsch wurde erfüllt – und noch am gleichen Tag begann er, auf seinem neuen Instrument zu spielen.
Einige Monate später spielte er täglich mehrere Stunden lang immer wieder denselben Ton; und seine Familie erkundigte sich, ob er denn nicht auch die übrigen vielfältigen Tonfähigkeiten des Cellos erforschen wolle? Seine Antwort lautete: Nein. Er erläuterte, dass alle, die ein Cello spielen, nach seinem Ton suchen; die meisten finden diesen Ton allerdings nicht und spielen alle möglichen Töne und Melodien; was ihn selbst betreffe, habe er ihn aber sogleich gefunden – darum.
Schaue ich mir die sechs nachfolgenden Schriften über das Bewusstsein an, die im Lauf von 25 Jahren entstanden sind, geht es mir so ähnlich wie diesem kaukasischen Großbauern mit seinem einsamen Celloton. Diese Schriften befassen sich in gewisser Weise recht monoton mit einem einzigen Thema: dem Praxisweg zur Quelle oder Essenz des Bewusstseins.
Höheres Bewusstsein entstand 1983, also vor meiner Begegnung mit Tulku Urgyen. Hier geht es in erster Linie um das bipolare Bewusstsein; darum, wie sich die Gewichtung von den vielen verschiedenen Einzelgedanken und Einzelerlebnissen auf die Quelle der Gedanken verschiebt – auf den Denker dieser Gedanken; auf den eigentlichen Produktionsprozess; den Erleber des Erlebten, den Ursprung und die schöpferische Quelle aller möglichen Erlebnisse.
1991 entstand Befreiung des Bewusstseins. Hier geht es um den Versuch einer Beschreibung der meditativen Praxis mit Hilfe der bipolaren Einstellung des Bewusstseins – bis hin zum Ereignis der Übertragung: der Situation, in der das Bewusstsein in Gemeinschaft mit einem erleuchteten Lehrer zur Wiedererkennung und Verwirklichung der nondualen erleuchteten Bewusstseinsessenz gelangt.
In Der Himmel des Jetzt, 1994 entstanden, liegt der Schwerpunkt auf zwei entscheidenden Sachverhalten der meditativen Praxis: zum einen auf der neutralen Betrachtung – der Meditation des Zeugen, also Vipassana – als einer zentralen Übung; und zum anderen auf dem Zusammenhang zwischen Meditation und Gebet.
Das Innerste des Bewusstseins aus dem Jahr 1995 versucht die Praxis des bipolaren Bewusstseins mit Dzogchen zu vergleichen und zu verbin den: Hier wird die Praxis des bipolaren Bewusstseins als Vorbereitung zur fortgeschrittenen Dzogchenpraxis, dem eigentlichen Prozess der Erleuchtung, beschrieben.
In Dzogchenpraxis als Bewusstseinsweite, 2003 entstanden, stehen zwei ergänzende Aspekte des Praxisweges im Vordergrund. Der eine dieser Aspekte ist der Unterschied und der Zusammenhang zwischen dem allmählichen und dem augenblickshaften Weg; der andere die Beschreibung der vier Grundeinstellungen als mögliche optimale Atmosphäre und Umwelt für die Dzogchenpraxis.
Das fließende Licht des Bewusstseins aus dem Jahr 2008 hat seinen Ausgangspunkt in einer Zusammenstellung von Kant und Longchenpa auf der Grundlage des Begriffs der Apperzeption. In diesem Hauptabschnitt geht es um die fortgeschrittene Dzogchenpraxis; um Longchenpas Beschreibungen des Zusammenhangs zwischen Trekchö und Tögal – den beiden Praxisformen, die den Zugang zum erleuchteten, nondualen Bewusstsein öffnen und stabilisieren.
Alle sechs Bücher arbeiten also mit ein und demselben Grundton; und dennoch versuchen sie eine Reihe von Nuancen und Aspekten zu entfalten, die möglichen Lesern vielleicht nützlich und inspirierend erscheinen können.
Die hier behandelten Hypothesen, Erfahrungen und pädagogischen Strategien wurden über die 25 Jahre ihrer Entstehungszeit von mehreren Tausend Menschen untersucht, geprüft und modifiziert. Hier handelt es sich also nicht um Studierkammerphilosophie. Die meditative Pädagogik entstand über viele Jahre auf der Basis eines breiten Feldes an Prakti zierenden und mit zahllosen individuellen Praxisgesprächen von der Art, wie sie in der tibetischen Dzogchentradition entwickelt wurde.
Ein solches Praxisgespräch – Semtri, Bewusstseinsinstruktion – baut darauf auf, dass die Gesprächspartner – der Lehrer oder Mentor und der Schüler – beide praktizieren, während sie sich über die konkrete individuelle Praxis austauschen. Man geht davon aus, dass der Lehrer sich im nondualen Gewahrsein befindet, während der Schüler so gut und intensiv praktiziert, wie es der aktuelle Fortschritt seines Praxisprozesses erlaubt.
Ein solches Gespräch wird also von der aktuellen Praxis des Lehrers und des Schülers getragen – von ihren Zuständen und von der Punktpraxis.
Im glücklichsten Fall ermöglicht dies, dass der Kontakt zwischen den beiden Gesprächspartnern den Zugang zu den inneren Bewusstseinsebenen öffnet. Das bedeutet, dass zunächst das Ganzheitsbewusstsein der fünften Ebene, später das Gemeinschaftsbewusstsein der sechsten Ebene in den Praxisbegegnungen unter dem Gespräch über den meditativen Prozess und seine Stufen, Ebenen und Nuancen unmittelbar offen stehen kann.
Im Prozess der Erleuchtung erfolgt der Austausch, während sich beide Gesprächspartner in Zuständen des nondualen Gewahrseins befinden – also im Einheitsbewusstsein oder Rigpa der siebten Ebene.
Solche Praxisgespräche gehören wohl zu den tiefsten Formen der Begegnung, die unter Menschen möglich sind. Darum können sie tief bewegen und das gesamte Praxis- und Verständnisniveau entscheidend verändern. Das Herz öffnet sich in Vertrauen und Dankbarkeit. Die Grenzen zwischen den beiden Bewusstseinsinstanzen verwandeln sich in pulsierende energetische Interferenzfelder, und Bewusstsein und Herz leuchten allmählich auf und erfassen Licht. Unter einem solchen Praxis gespräch kann sich das Bewusstsein in große Weite und nicht-sprachliche Freiheit hinein öffnen.
Es sind Erfahrungen dieser Art – im Verhältnis zu meinem eigenen Dzogchenlehrer Tulku Urgyen wie auch im Verhältnis zu den fortgeschritteneren Praktizierenden, die ich selbst unterrichtet habe – es sind derartige Erfahrungen, die die tiefere Grundlage der in den folgenden Schriften behandelten Bewusstseinsbeschreibungen und pädagogischen Strategien bilden.
Alle Erfahrung zeigt, dass eine Unterscheidung zwischen zumindest drei Arten von geistigen Öffnungen zweckdienlich ist; Öffnungen, die man durchaus als Entsprechungen dreier fundamentaler Aspekte der so genannten inneren Dimensionen des Bewusstseins deuten kann.
Die erste Art solcher Öffnungen kann durch Musik, Naturerlebnisse, Liebe, Meditation oder andere erhebende Aktivitäten vermittelt werden. Ein solches Erlebnis kann einen Reichtum an Licht, Mitgefühl, religiöser Erhebung, Energieströmungen im Körper, Einsichten und Seligkeit entfalten. In der Regel wird ein solches Erlebnis kurz, nur Sekunden oder Minuten, dauern; und die Nachwirkungen auf den Sinneszustand und die Existenz halten Stunden, Tage oder – seltener – Wochen an. Das Erlebnis kann aber auch zu einer dauerhafteren Änderung der Einstellung beitragen; zu einem Gefühl tieferer Zusammengehörigkeit mit anderen lebenden Wesen. Nachfolgend nennen wir diese Form der Öffnung ein Erlebnis der fünften Bewusstseinsebene, des Ganzheitsaspektes des Bewusstseins, des Spirituellen.
Die zweite Art dieser Öffnungen erscheint vor allem in Verbindung mit der inneren Praxisarbeit – mit Gebet und Meditation; eine derartige Öffnung kann aber auch spontan eintreten. In der Regel dauert sie nur Bruchteile von Sekunden; in seltenen Fällen mehrere Sekunden. Man nennt das einen kosmischen oder illuminativen Blitz; und die existenziellen und psychischen Nachwirkungen, die Assimilation und Umsetzung eines solchen Erlebnisses kann typisch ein halbes Jahr bis zu mehreren Jahren dauern.
Der Inhalt eines solchen Erleuchtungsblitzes ist meist schwer zu beschreiben; es handelt sich um intensives Licht, Ausweitung, umfassende Einsicht und Liebe. Nachfolgend nennen wir das eine Öffnung in die sechste Ebene, das Kosmische, die Ebene des Gemeinschaftsbewusstseins.
Die dritte und letzte Art der Öffnung – die nur extrem selten eintritt – erfolgt in der Begegnung und im Austausch mit einem Lehrer, der sich bereits in einem Prozess der Erleuchtung befindet oder erleuchtet ist. Der Gehalt eines solchen Erlebnisses ist die Entdeckung und Wiedererkennung des innersten Wesens des Bewusstseins, der nondualen erleuchteten Essenz. Nachfolgend nennen wir eine solche Öffnung eine Öffnung in die siebte Bewusstseinsebene hinein, die erleuchtete Ebene des Einheitsbewusstseins oder des Gewahrseins. Ein solches Erlebnis ändert das gesamte nachfolgende Leben des betreffenden Menschen, so wie das Geburt oder Tod tun. Die Nachwirkungen haben mit anderen Worten keinen Abschluss, sondern dauern das ganze Leben lang an.
Vielleicht benötigt die globale Gemeinschaft zum aktuellen Zeitpunkt nicht besonders viele Ereignisse dieser Art; vielleicht würden solche Erfahrungen allgemeiner, wenn die Notwendigkeit größer wäre. Was die Menschheit vielleicht benötigt, ist die Verallgemeinerung eines höheren ethischen Niveaus – technisch gesprochen eine Verallgemeinerung der fünften Ebene des Selbst. Wenn man die Krise auf unserer Erde betrachtet – das Abschmelzen der Polkappen, den Treibhauseffekt, die begrenzten Erdölreserven, die andauernden Kriege, die wachsenden Unterschiede zwischen Reich und Arm und das explosive Bevölkerungswachstum – wenn man all das bedenkt, scheint in der Menschheit ein großes Bedürfnis an einer umfassenden Änderung unserer Einstellungen zu bestehen. Was Not tut, ist, dass die Menschheit insgesamt allmählich die Notwendigkeit innerer Arbeit und der Entwicklung einer Intelligenz des Herzens erkennt; und als Folge davon die Notwendigkeit eines größeren Gefühls der Verantwortung für die Ganzheit des Erdballs und der Menschheit und der Verstärkung einer mitfühlenden, Gemeinschaft empfindenden Ethik.
Vielleicht könnte man sich vorstellen, dass die innere Notwendigkeit einer Einstellungsänderung in dem Maße wächst, wie der äußere Druck durch Übervölkerung, Energiemangel und Klimaverschlechterung anwächst. Und vielleicht bildet das Zusammenspiel dieser beiden Faktoren die Hoffnung und die Wahrscheinlichkeit, dass es der Menschheit gelingen wird, zu einer überwiegenden Freundlichkeit und Hilfsbereitschaft unter ihren Mitgliedern heranzuwachsen – eine Entwicklungsstufe, die bislang eher utopisch erscheinen muss.
Eine solche Stufe, wenn sie denn erreicht werden soll, erfordert vielleicht, dass ein Wissen um die Wege in die natürliche Intelligenz des Herzens verallgemeinert und angewandt wird. Meine Hoffnung ist, dass die nachfolgend beschriebenen Erfahrungen und Darlegungen einen Weg in die richtige Richtung weisen können.
Jes Bertelsen, 2010
Inhaltsverzeichnis Band II
Das Innerste des Bewusstseins
Vorwort
Das Bewusstsein – Stufen und Funktionen
Aus einem Traum erwachen
Schlaf, Traum, Wachheit
Neutrale Betrachtung
Luzide Träume
Bipolares Bewusstsein
Im Kino üben
Bipolares Bewusstsein in Träumen
Der natürliche Prozess der Initiation
Herz und Gewahrsein
Zusammenhänge weben – und Brüche schaffen
Die zahllosen Facetten des Bewusstseins
Kants transzendentale Apperzeption
Einsicht aus der Sprache in die Stille tragen
Dzogchen
Grundlagen
A. Grundunterscheidungen
B: Grundemotionen
C: Grundperspektiven
Die vorbereitenden Initiationen
Instruktion zur Einführung in das Innerste des Bewusstseins
Trekchö und Tögal
Die drei Dzogchen-Formeln des Garab Dorje
Selbsterfolgende Selbstbefreiung
In der biografischen Vorstellung üben
Der natürliche Zustand
Vision und Gewahrsein
Mit dem Herzen sehen
Die Linie
Die Musik der Linie
Tibetische Texte
Ergänzende Anmerkungen
Dzogchenpraxis
Vorwort
Erster Teil: Der allmähliche Aspekt
Einleitung
Die vier Grundaspekte der Praxis
Fertigkeiten und Zusammenspiel
Jenseits von Sprache und Identität
Nicht greifen und nicht begreifen
Natürliche Selbstbefreiung
Perspektive, Praxis und Verhalten
Was man nicht gelernt hat
Die Praxis der Weite
Glück
Dzogchen-Lebenskunst
Zweiter Teil: Der augenblickshafte Aspekt
Graduell und augenblickshaft
Der Raum der Entspanntheit
Der panoramische Raum der Ausgeglichenheit
Der Raum des Herzens
Der unendliche Raum der Apperzeption
Longchenpa
Die zentrale Vermittlung
Weiblich und männlich
Das freie Schweben des Bewusstseins
Verlässlichkeit
Bezuglosigkeit
Andauernde Wachheit
Andauernde Gegenwärtigkeit
In der Praxis sterben
Vervollständigende Betrachtungen
Abschluss
Tibetische Texte
Das fließende Licht des Bewusstseins
Einleitung
I: Untersuchungen des Bewusstseins
1. Bewusstseinsaspekte
2. Wissenschaftliche und philosophische Analyse
3. Weltbild und Grundbegriffe
A: Die Grenzen des Bewusstseins: Kant, C.G. Jung und Kierkegaard
B: C.G. Jung
II: Untersuchungen zu Longchenpas Dzogchen
1. Bewusstsein, Transzendenz und Herz
A: Die duale Funktion des Bewusstseins
B: Konvergenzpunkte des Transzendenzhorizonts
C: Verfeinerung des Herzens und des Bewusstseins
2. Die Begegnung mit Tulku Urgyen
3. Longchenpas Grundbegriffe
A. Leerheit und Erscheinung – Trekchö und Tögal
B. Das fließende Licht des Bewusstseins: Grundstruktur und
allmähliche Entfaltung der Tögalvisionen
C. Einkreisung und Identifizierung von Longchenpas Grundbegriffen
III: Das holographische Netzwerk der 100 Stammbegriffe
1. Die (wenigen) zentralen übergeordneten Kernbegriffe
2. Girlanden von Diamantketten (Vajraketten)
3. Weite, Wissen und Vielfalt der Wachheit
4. Eine holographische Sprache: Netzwerke von chromatischen
Vajraketten
5. Gesamtvisionen und Begriffshologramme
Abschließender unwissenschaftlicher Inbegriff
Stammbegriffe
Glossar
Literaturhinweise
Anmerkungen
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Mainzer Str. 57a
66121 Saarbrücken
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