Buchauszug
Dieses Buch enthält drei Texte von Geshe Rabten, die als einzelne, in Seide gebundene Publikationen 1990 von unserem Verlag herausgegeben wurden.
Textauszüge:
Einführung in Dharma
Wir machen große Anstrengungen, um Leid zu lindern und zu vermeiden. Dabei fassen wir die äußeren Umstände, durch die uns Leid trifft, ins Auge und richten alle unsere Bemühungen darauf, diese zu beeinflussen und zu beseitigen. Die eigentliche Ursache für Leid haben wir jedoch nicht erkannt. Wie kann man Leid, im Besonderen geistiges Leid, vollständig beseitigen? Zuerst muß erkannt werden, daß sich die Wurzel für das Erfahren von Leid im eigenen Geist befindet, und dann müssen die Mittel zur Beseitigung dieser Wurzel angewendet werden. Ist die Ursache für Leid einmal ausgelöscht, kann kein Leid mehr erfahren werden.
Verändert man den Geist jedoch in keiner Weise, verrichtet man an ihm keinerlei Arbeit und bemüht man sich nicht auf andere Art Leid zu beseitigen, dann kann man fliegen oder tauchen, es wird einem nicht gelingen, Leid zu beenden. Da die negativen Geistesfaktoren der prinzipielle Ursprung für Leid sind, ist es wichtig, diese zu erkennen und Mittel anzuwenden, die ihr Auftreten unterbinden. Ist es einem gelungen, die negativen Faktoren des Geistes zu beseitigen, dann kann man mit allen beliebigen äußeren Umständen in Berührung kommen, ohne daß sie einem das geringste geistige Leid verursachen können.
Leerheit - Shunyata
Wenn man sieht, daß der eigene Körper nicht die eigene Person ist, sondern nur der Körper der Person, daß der Geist der Person nicht die Person selbst ist, sondern nur der Geist der Person, und wenn man sieht, daß auch separat von dem Körper der Person und dem Geist der Person die Person nicht zu finden ist, keine Person existiert, dann fragt man sich vielleicht: Dann gibt's mich also überhaupt nicht? Aber da müssen Sie sich keine Sorgen machen, Sie existieren; denn nur dadurch, daß Sie sich bemüht haben hierherzukommen, sitzen Sie jetzt da; nur weil Sie existieren, konnten Sie sich bemühen hierherzukommen und können Sie jetzt zuhören.
Der, der denkt, also mich gibt es nicht, dieser Denkende, das ist die Person selbst. Das, was denkt, das ist die Person selbst. Der Körper der Person war nicht die Person, der Geist der Person war nicht die Person. Nun, wo ist die Person, was ist die Person? Auf der Grundlage des Körpers und des Geistes und auf der Grundlage eines Bewußtseins, das diese Person erfaßt, wird das Ganze eine Person genannt. Diese Person existiert in Abhängigkeit von ihrem Körper, von ihrem Bewußtsein und von dem Bewußtsein, das diese Person erfaßt. Und diese Person ist dasjenige, was heilsame Dinge tut, was unheilsame Dinge tut, was die heilsamen Wirkungen der heilsamen Taten und das Gegenteil erfährt. Dieses abhängige Bestehen der Person kann man nicht leicht klar verstehen, ohne daß man die Leerheit oder Shunyata erkannt hat.
Die Natur des Buddha
Die meisten von Ihnen haben Unterweisungen über den Buddha gehört und auch über die verschiedenen Erscheinungen und Körper des Buddha. Sie haben davon gehört, daß es der Mühe wert ist, Dharma anzuwenden, und daß man durch die Anwendung von Dharma den Zustand der Buddhaschaft erreichen kann. Wie dieser Prozeß jedoch tatsächlich vollzogen wird und was die eigentliche Natur des Buddha oder der Körper des Buddha ist, das ist den wenigsten wirklich deutlich.
Manche Leute sprechen davon, daß sie sich der einen Erscheinung der Buddhas sehr zugeneigt fühlen, während sie andere wieder nicht so sehr mögen. Das ist ein Zeichen dafür, daß ihnen die eigentliche Natur des Buddha nicht deutlich ist. Deshalb möchte ich eine kurze Erklärung über die Anwendung des Dharma und über die Natur des Zieles, d.h. über die Körper des Buddha geben.
Die zwölf Glieder des Seins
Wir sprechen viel vom Daseinskreislauf und von der Befreiung. Das sind zwei Worte, die uns allen im Mund liegen. Aber es ist sehr wichtig, auch genau zu wissen, was mit Daseinskreislauf, mit Samsara gemeint ist. Wenn man weiß, was es bedeutet, daß man selbst im Samsara lebt, im Daseinskreislauf gefesselt ist, dann wundert man sich nicht über Schwierigkeiten, die einem in den Weg kommen, und über verschiedene Arten von Leid und Problemen, die man zu erfahren hat; man denkt sich dann einfach, ja, es ist eigentlich gar nichts anderes zu erwarten für jemanden, der eben im Daseinskreislauf existiert.
Wenn einem das nicht klar ist, dann kann es leicht passieren, daß man in seinem Leben sehr große Schwierigkeiten erfährt, irgendein großes Unglück geschieht, und weil einem nicht bewußt ist, daß das eigentlich auf die eine oder andere Art zu erwarten ist, wird man sich wundern: Warum muß mir so ein Unglück zustoßen? So kommen zu dem äußern Unglück noch das Unverständnis und die innere geistige Belastung mit diesem Unglück.
Konzentrative und Analytische Meditation
Zusammengefaßt kann man Meditation in konzentrative und in untersuchende oder analytische Meditation unterteilen. Im Westen versteht man heutzutage unter Meditation meistens nur konzentrative Meditation. Leute, die an Meditation interessiert sind, wissen oft nur darüber etwas und gar nichts über analytische Meditation, oder sie erkennen diese nicht als Meditation. Es gibt auch viele, die sich nicht genau darüber im Klaren sind, was konzentrative Meditation ist, die der Meinung verfallen, es seien alle Arten von Gedanken darunter zu verstehen, und die somit etwas praktisch Unbrauchbares versuchen.
In Wirklichkeit ist analytische Meditation die Art von Meditation, die für uns am nützlichsten und zugänglichsten ist, die wir auch durchführen können und die die besten Resultate bringt. Hierher gehören die beschriebenen Beispiele. Wenn zum Beispiel jemand Hingabe gegenüber einem besonderen Objekt empfindet und diese weiter schult, ist dies Meditation, und zwar analytische Meditation. Das gleiche trifft auf die Beispiele des Entwickelns von Erbarmen und Mitgefühl zu. Die meisten in uns auftretenden Tätigkeiten dieser Art, die man als Meditation bezeichnen kann, sind analytische Meditation. Auch alle die Methoden, die das Ziel haben, die Fähigkeit des Ertragens oder der geistigen Ruhe zu steigern, alle diese geistigen Aktivitäten in Bezug auf bestimmte heilsame Objekte sind analytische Meditation.
Wenn Sie zum Beispiel ein korrektes, fehlerfreies Buch über Dharma aufmerksam lesen, über das Gesagte nachdenken, dann sind alle diese Bemühungen analytische Meditation. Auch wenn Zum Beispiel den gegenwärtigen Erläuterungen aufmerksam zuhören, Sie sich überlegen, sich Gedanken machen, wie es sich verhält usw., dann sind alle diese Gedanken und Überlegungen ebenfalls analytische Meditation. Denn beim Zuhören sind unsere Gedanken auf etwas Heilsames gerichtet, wir überlegen uns das Gesagte, wir untersuchen es, wir analysieren es; deshalb wird das richtigerweise auch als analytische Meditation bezeichnet.
Am Anfang, wenn man versucht zu meditieren, wird meistens der Atem beobachtet, um den Geist von störenden Gedanken zu befreien. Dieses Beobachten des Atems, genauso wie z.B. die Meditationen, die als Satipatthana bekannt sind, sind ebenfalls untersuchende Meditation. Alle diese Gedanken, diese Bemühungen sind uns zugänglich, wir können sie durchführen, und sie bringen eine ganz konkrete Veränderung und Verbesserung unseres Geisteszustandes; und deshalb habe ich anfangs erwähnt, daß analytische Meditation für uns die nützlichste und beste ist.