Das vorliegende Buch von Geshe Rabten, einem der großen Meister des tibetishen Buddhismus, verfolgt diverse Erfahrungen: Jedes Wesen kann die Erleuchtung erlangen. Hierzu ist Meditation, wie sie im Buddhismus gelehrt wird, das zentrale Mittel. Mit Ihrer Hilfe ist es möglich, alle Leiden und Ihre Ursachen zu überwinden.
Sehr zu empfehlen wenn man die Vorbereitende Übungen (Ngöndro) machen möchte. Detalierte Erklärungen zur Praxis mit Zeichnungen.
Auszug:
Auf dem Weg zur Geistigen Freude
von Geshe Rabten
Die Aufmerksamkeit nicht lockern
Fährt man dann mit der Meditation fort, kommt ein Punkt, an dem die Bewußtheit längere Zeit auf das Objekt gerichtet bleiben kann. An diesem Punkt hat man mal keine störenden Gedanken und dann wieder in verstärktem Maße. Zuvor waren sie ständig vorhanden; nun scheinen sie einen von Zeit zu Zeit in Ruhe zu lassen. Das ist ähnlich wie bei einem Guerilla-Krieg: Mal scheint gar kein Krieg zu sein und plötzlich kommt er mit voller Stärke zurück. Die Bewußtheit ist an diesem Punkt schon recht gut; sie läßt nur noch manchmal einen solchen Einfall von störenden Gedanken zu. Da die Aufmerksamkeit ständig achtgibt, kann man diese Gedanken gleich beim Auftreten erkennen und zurückhalten. Die Aufmerksamkeit muß jedoch ständig wachbleiben; denn ließe man sie etwas locker, so schwemmten die störenden Gedanken die Bewußtheit des Objekts gleich hinweg.
Zu dieser Art und Weise, die Gedanken auszuschalten, gibt es ein Beispiel. Ob die Geschichte wirklich wahr ist, weiß ich nicht. Sie handelt von einem sehr begabten, klugen Bogenschützen und einem sehr guten Schwertschwinger, die eines Tages beide beschlossen, einen Wettkampf zu veranstalten. Der Bogenschütze sollte seine Pfeile auf den Schwertschwinger abschießen, während dieser mit seinem Schwert die Pfeile zerstören sollte. Sollte er sie abhalten können, hätte er gewonnen; würde er getötet, hatte er verloren. Sie trafen sich also, und der Bogenschütze schoß eine ganze Serie von Pfeilen auf den Schwertschwinger ab, die dieser jedoch alle zerstören konnte, bevor sie ihn trafen. Als sie so kämpften, sah der Schwertschwinger in der Ferne ein Objekt seiner Begierde. In diesem Moment vergaß er, sein Schwert richtig zu führen, um den Pfeil zu zerstören, und wurde tödlich getroffen.
Das entspricht der Situation, wo man in der Meditation mit den störenden Gedanken einen ähnlichen Wettkampf ausführt. Der Geist, der zu meditieren versucht, entspräche dem Schwertschwinger. Genauso wie dieser ständig schauen muß, ob ein Pfeil auf ihn zukommt, wacht die Aufmerksamkeit ständig darüber, ob irgendwelche störenden Gedanken auftreten oder nicht. So wie der Meditierende jeden störenden Gedanken gleich beseitigen muß, muß der Schwertschwinger jeden Pfeil zerbrechen.
Im allgemeinen gibt es viele Dinge, die uns ablenken. Darunter sind die Objekte der Begierde am gefährlichsten für den Geist. Sieht man ein Objekt der Begierde, erzeugt es ein gewisses angenehmes Gefühl im Geist, man fühlt sich angezogen und möchte es noch näher ansehen. Wenn in der Meditation ein Objekt der Begierde auftritt - ein störender Gedanke also - und man diesem nachgibt und unfähig ist, ihn zu zerstören, wird damit sogleich die Meditation zerstört. Das ist wie beim Schwertschwinger, den in der gleichen Situation der Pfeil traf. Da die Gefahr besteht, daß ein störender Gedanke die ganze Meditation zerstört, ist es sehr wichtig, daß die Aufmerksamkeit sehr genau und scharf aufpaßt, was die Bewußtheit macht: Ob sie ihr Objekt richtig erfaßt oder abgelenkt ist. Dabei ist für uns am Anfang die Methode, wonach man die Gedanken durch Beobachten zum Verschwinden bringt, die richtige.
Die andere Methode, mit der man störende Gedanken direkt beseitigt, kann erst wirklich wirksam angewandt werden, wenn die Bewußtheit eine entsprechende Stärke erreicht hat. Im Vergleich zu früheren Stadien sind Ruhe und Glück im Geist auch wesentlich größer; denn die störenden Gedanken sind um ein bestimmtes Maß reduziert worden. Im allgemeinen gilt: In dem Maß, wie man störende Gedanken beseitigen kann, erfährt man Ruhe und Glück.
Wie die Oberfläche eines Sees
Viele Leute sprechen davon, Samatha- Meditationen zu machen. Eine ernsthafte Samatha-Meditation erfordert jedoch eine Entwicklung in den genannten Stadien und Stufen, das heißt, man versucht, die Konzentrationsfähigkeit auf ein Objekt immer weiter zu entwickeln. In dem Maß, wie das gelingt, wird das Objekt der Konzentration schärfer und klarer. Auch dann muß man die Meditation noch weiterführen. Schließlich wird ein Punkt erreicht, wo das Objekt noch deutlicher und die Konzentrationsfähigkeit darauf noch stärker wird. In diesem Zustand ist die Bewußtheit so stark, daß sie von störenden Gedanken nicht mehr zerstört werden kann. Die noch auftretenden Gedanken sind so schwach, daß sie nur noch unterschwellig im Geist erscheinen. Der Geist ist in diesem Moment mit einem See vergleichbar, unter dessen Oberfläche kleine Fische herumschwimmen. Sie können jedoch die Oberfläche des Sees nicht ernstlich in Bewegung bringen. Ebenso kann in diesem Stadium die Bewußtheit des Objektes nicht mehr durch störende Gedanken beeinträchtigt werden; obwohl es noch störende Gedanken unter der Oberfläche gibt. Da die Bewußtheit in diesem Stadium schon ziemlich stark ist, kann man die Aufmerksamkeit etwas reduzieren und muß nicht mehr so scharf auf seine Gedanken aufpassen wie am Anfang.
Aufregung und Sinken
So sind vom Anfang der Meditation bis hierher eine ganze Reihe von störenden Faktoren aufgetreten, die die Meditation erschweren und behindern. Oft ist vom Faktor der Aufregung als eines der Haupthindernisse die Rede. Aber nicht alle Hindernisse sind als Aufregung zu klassifizieren. So sind Ablenkungen in Richtung Begierde als Aufregung zu bezeichnen; Ablenkungen in Richtung auf andere Objekte, die den Geist traurig machen, werden lediglich als eine Art Arger bezeichnet. Da sich beide Hindernisse zur Erreichung von Samatha darstellen, gilt es, beide zu beseitigen. In diesem Stadium erfährt man ein ziemlich großes Maß an Glück; es treten nur noch sehr wenig störende Gedanken auf, und man hat auch nicht mehr ein so großes und regelmäßiges Bedürfnis nach Schlaf und Nahrung wie früher. Man kann dann schon von einem ziemlich großen Grad der Konzentration selbst leben, hat jedoch das Ziel noch nicht erreicht. Man muß die Bewußtheit noch weiter entwikkeln und stärken. Würde man sagen, jetzt genügt es, mehr brauche ich nicht, wurde die Bewußtheit mit der Zeit wieder schwächer werden und die störenden Gedanken nahmen wieder überhand.
Da von den störenden Gedanken kaum noch Gefahr ausgeht, kann man ganz konzentriert auf das Objekt gerichtet bleiben, ohne daß der Geist abgelenkt wird. Das Objekt erscheint sehr klar und deutlich und man wird auch nicht davon abgelenkt. Nun wird man mehr Glück erfahren als je zuvor.
In diesem Zustand besteht keine große Gefahr der Aufregung mehr. Es kommt jedoch ein weiterer hinderlicher Faktor auf und das ist das Sinken. Was ist damit gemeint? Die meisten Leute glauben, wenn sie von zwei hinderlichen Faktoren bei der Meditation hören, daß alle Unklarheit und Trübung in der Meditation auf dieses Sinken zurückzufuhren seien. Als Anfänger gerät man in der Meditation öfter in einen Zustand, in dem der Geist nicht sehr stark abgelenkt wird, das Objekt aber auch nicht klar erfaßt. Alles ist etwas trüb und unklar, der Geist erscheint schwer und unbeweglich, und wir schlagen eine unausweichliche Richtung auf den Schlaf ein. Wir sprechen dann gern vom Sinken; in Wirklichkeit jedoch ist es nichts als Dunkelheit oder Trübheit des Geistes.
Sinken jedoch tritt auf, wenn man einen sehr fortgeschrittenen Zustand erreicht hat, wo der Geist sehr fest und ohne Ablenkung auf das Objekt gerichtet bleibt: Das Objekt erscheint klar, die störenden Gedanken treten nur noch unterschwellig auf, und man erfahrt schon ein sehr großes Maß an Glück in der Meditation. In diesem Zustand tritt ein Geistesfaktor auf, der langsam der Konzentration die Kraft nimmt und die Wirksamkeit des Geistes immer schwächer macht. Dieser Faktor wird Sinken genannt. Es ist ähnlich wie bei einem Ballon, der ein kleines Loch hat: Er geht nicht sofort kaputt, sondern ihm geht nur langsam die Luft aus und er wird immer kleiner.
Viele Leute denken in diesem Zustand: Jetzt habe ich Samatha wirklich erreicht, mein Geist bleibt fest auf das Objekt gerichtet, das Objekt erscheint klar und deutlich und ich erfahre viel Glück in der Meditation. Andere meinen, aufgrund des Glücks und der festen Bewußtheit des Geistes, eine hohe tantrische Realisation erreicht zu haben. In Wirklichkeit jedoch haben sie nicht nur Samatha nicht erreicht, sondern sind in einem Zustand, in dem ganz langsam die Kraft der Konzentration von einem anderen Faktor des Geistes gestohlen wird.
Jemand, der am Tag sehr schwer gearbeitet hat, könnte am Abend sofort einschlafen, wenn er sich auf das Bett legt. Ähnlich ist es mit der Meditation: Nachdem man mit der Aufregung und den Ablenkungen des Geistes fleißig gekämpft und diese in einem bestimmten Maß überwunden hat, scheint eine gewisse Ruhe einzutreten. In diesem Zustand kann das Sinken auftreten.
Gegenmittel richtig einsetzen
Mittels der Aufmerksamkeit muß man nun wieder aufpassen, ob dieses Sinken im Geist auftritt oder nicht, und ob die Kraft des Geistes schwächer wird oder nicht. Wird sie schwächer, ist das ein sicheres Zeichen für Sinken und man muß die Gegenmittel anwenden. Man untersucht und analysiert das Meditationsobjekt auf ein neues, wodurch es deutlich und klar wird und die Kraft des Geistes wieder zurückkehrt. Wenn Sie zum Beispiel über die Natur des Geistes meditieren und schon eine starke Konzentration auf dieses Objekt erreicht haben, würden Sie die Natur des Geistes untersuchen. Dadurch wurde das Objekt wieder stärker und scharfer werden, die Kraft des Geistes käme zurück und die Gefahr des Sinkens verringerte sich wieder. Übertreibt man jedoch dieses Untersuchen, besteht die Gefahr der Aufregung.
So muß man bei der Meditation den Geist auf einer ganz feinen Bahn führen und darauf achten, daß er nicht nach einer Seite hin abweicht. Wenn man beim Untersuchen des Objekts feststellt, daß der Geist zur Aufregung neigt, muß man das Untersuchen etwas lassen. Merkt man dann, daß Sinken auftritt, muß das Untersuchen wieder verstärkt werden, Es ist ähnlich wie eine Mutter, die ihr Kind erziehen will: Manchmal muß sie dem Kind liebe Worte sagen und ihm. etwas Schokolade geben; wenn es etwas Böses getan hat, muß sie ihm mit einem anderen Mittel weiterhelfen. In der gleichen Weise muß bei der Meditation der Geist manchmal aus dem Sinken herausgeholt werden, manchmal aus der Aufregung. So muß man daraufachten, daß er ständig auf dem richtigen Weg weitergeht. Durch diese Mittel wird das Objekt dann noch klarer und deutlicher. Man erfährt ein noch größeres Glück durch die Meditation, und man kann ohne große Anstrengung mehrere Stunden auf das Objekt gerichtet bleiben.
Auflage vergriffen. Gebraucht sehr gut